Wie man beim Dating nach den Bedürfnissen des anderen fragt
Warum ist es so schwierig für uns zu fragen, was der Partner möchte? Olga Nechaeva, unsere Kolumnistin, Autorin und Gründerin der Femosophy-Plattform, spricht mit uns über diese Frage. Sie erklärt uns, warum wir es so schwierig finden, unsere Wünsche mit der Person zu teilen, der wir doch nahe sein möchten, und warum dies für eine gesunde Beziehung so wichtig ist.
Ist es nicht sexy nach Wünschen zu fragen?
Kevin ist 49 Jahre alt, grauhaarig, trägt einen taillierten Mantel und weiche Lederhandschuhe. Er ist Besitzer eines Risikokapitalfonds und eines eigenen Sees. Wir laufen seit etwa einer Stunde in Windsor herum, und ich bin mir immer noch nicht sicher, wo das das Ganze hinführen soll. Schließlich schaffen wir es bis zum Parkplatz. Dort sehen wir uns an. Entweder werden wir uns küssen und uns für ein zweites Date verabreden, oder wir werden uns freundlich beim jeweils anderen für das nette Date bedanken und in unsere Autos steigen. Dort werden wir dann jeder die Nummer des anderen von unseren Handys löschen. Es gibt also zwei Optionen, aber beide fühlen sich irgendwie geskriptet an.
Pure Dating — alles außer langweilig!
Wird er fragen? Und wenn er nicht fragt, aber ich es tue, mache ich ihn damit verlegen? Warum ist er so still? Und hier stehen wir, einen halben Meter voneinander entfernt, und versuchen herauszufinden, wie es mit uns beiden weitergehen soll.
Wo ist sie, diese rosarote Kinowelt, in der zwei Fremde einander begegnen und plötzlich und völlig überraschend die absolute Romantik erleben? Was passiert, wenn wir anfangen, bei jedem Schritt Fragen zu stellen? Ist das dann nicht sexy? Und wo ziehen wir in dieser komplexen neuen Welt die Grenze zwischen persönlichem Raum und der rohen Spontanität sexueller Anziehung?
Man könnte sich über die “Zustimmungskultur” beschweren, die alles so kompliziert gemacht hat. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob es besser ist, von jemandem geküsst zu werden, den man gar nicht mag, bevor man eine “komplexe” Konversation führt.
“Kann ich dich umarmen?” und “Kann ich dich küssen?” — das sind zwei Fragen, die noch akzeptiert werden, aber was kommt dann? “Würde es dich stören, wenn ich deine Brüste knete?”, “Hättest du was dagegen, wenn ich dir den BH ausziehe?”, “Kann ich meine Hand in deine Hose stecken?” - diese Fragen sind unangenehm, und meist ist es genauso unangenehm, darauf zu antworten. Es wirkt kindisch, unnatürlich und gestellt. Wie kann man in Erregung geraten, wenn man ständig mit Fragen bombardiert wird? Sollte das Liebesleben nicht eigentlich so sein wie in den Filmen, wo man sich nonverbal versteht und alles natürlich wirkt?
Ob beim Online-Dating, in der Bar oder beim Sex, unseren Leitfaden zur aktiven Einwilligung solltest du immer zur Hand haben
In einer Beziehung ist es leichter nach Fantasien zu fragen — oder?
Wenn ihr schon länger zusammen seid, ist es relativ leicht nach einem Blow-Job zu fragen. Solche Fragen oder Vorschläge fallen einem in einer Langzeitbeziehung in der Regel nicht so schwer. Die Beziehung wird dadurch nicht gleich in Gefahr sein und selbst wenn dein Partner/deine Partnerin nicht begeistert ist von der Frage, kannst du immer noch versuchen, es am nächsten Tag besser zu machen. Außerdem sind sich die meisten Paare sicher, dass der andere nicht gleich davonlaufen wird, wenn man ihm/ihr etwas vom “Golden Shower” erzählt. In einer Langzeitbeziehung lernen wir einander kennen. Das bedeutet, dass ich irgendwann weiß, dass mein Partner es hasst, gekitzelt zu werden und es vorzieht, wenn ich mir die Schamhaare nicht rasiere. Er weiß, dass ich kein großer Fan von Cunnilingus bin und dass ich es nicht mag, wenn er mir in die Nippel kneift. Wir entdecken all diese “Do´s” und “Dont´s” mit der Zeit, einfach nur weil wir miteinander kommunizieren.
Eine Beziehung entwickelt sich, wenn du sagen kannst: “Ich träume davon, dich an den Haaren zu packen und durch die ganze Wohnung zu ziehen, dir dein Höschen herunterzureißen und dich von hinten zu nehmen,” und darauf Antworten bekommst wie, “Mmm, ich kann es kaum noch erwarten” oder “Gib mir einfach ein Zeichen, wenn es so weit ist”, oder “Das möchte ich lieber nicht, das ist nicht mein Ding”. Und wenn du über etwas mit deinem Partner gar nicht reden kannst, solltest du es wahrscheinlich lieber bleiben lassen.
Telepathie funktioniert nicht, also vergiss es
Und jetzt kommt das größere Problem: wir haben keine Zeit. Wir wollen es schnell, und zwar beim Sex, beim Essen und auch beim Dating. Aber laut den Recherchen funktionieren unsere Körper nicht auf dieselbe Weise: Sex ist besser, wenn mehr Vertrauen da ist. In einer Beziehung, in der es keine Gespräche oder Fragen gibt, ist das Risiko groß, dass man schlechten Sex hat.
Männer protestieren: “Was für ein Idiot fragt so etwas?”. Frauen versichern: “Ich will nicht gefragt werden”. Wir wollen auf telepathischer Ebene herausfinden, wie man mit dem Körper des anderen umgehen muss, sowie eine wundersame Übereinstimmung von Rhythmus, Stil, Geschwindigkeit und allem was dazu gehört.
Warum haben wir Angst zu fragen und wie können wir dann lernen?
Lasst uns herausfinden, was das Hauptproblem ist. Ist es das Risiko, mit einem “nein” konfrontiert zu werden? Glaubst du so wenig daran, dass dein Partner dich will, dass du lieber alles riskierst, als offen mit ihm zu reden? Sorgen wir uns darum, dass die Spontanität verloren geht?
In ihrem TED-Talk sagt die Psychotherapeutin Esther Perel: “Der Mythos, dass die Spontanität uns beim Wäschefalten überrascht, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. Perfekter Sex ist geplanter Sex. Vorsätzlich. Bewusst. Es geht um Konzentration und Präsenz.” Oder, wie mein Vater zu sagen pflegte: “Jede Improvisation muss gut vorbereitet sein.” Übereinkunft und Spontanität schließen sich nicht aus. Es gibt Millionen Wege zu flirten, zu spielen und spontan zu sein, genauso wie es Millionen Wege gibt, Fragen zu einem prickelnden Teil des Vorspiels zu machen. Aber nicht mit Kevin. Nicht dieses Mal.