Körperbild und Intimität

Körperbild und Intimität

Körperbild, Selbstakzeptanz und Intimität. Warum es uns schwerfällt, uns in unserem Körper wohlzufühlen, und wie sich das auf unsere persönlichen Beziehungen auswirkt.

Mein Dating-Leben war  in letzter Zeit fantastisch. Allerdings versuche ich immer, mir vorzustellen, dass ich jemand anderes bin, wenn ich mit jemandem schlafe. Ich kann mich im Bett nicht voll und ganz auf mich selbst einlassen, weil ich weiß, dass ich mich vor meinem Körper ekeln würde, und das würde sich auf die Erfahrung auswirken - selbst die schönste Erfahrung. Ich komme nicht einmal in diese Richtung. Also spiele ich eine Figur, als wäre ich ein Victoria's Secret Model oder so. Ihr wisst schon. Es ist ein bisschen traurig, aber man muss tun, was man halt tun muss. - das hat mir eine enge Freundin während einem Telefonat spät in der Nacht gestanden. Sie ist objektiv attraktiv, fit, 35 Jahre alt, eine Frau, die  ohne augenscheinliche Unsicherheiten, über die man sich Sorgen machen müsste. Komisch, dachte ich mir also. Ich habe noch länger darüber nachgedacht - und es kam mir irgendwann doch nicht mehr so komisch vor. 

Wir sprachen über unsere Erfahrungen in den 00er Jahren aufzuwachsen, als die Besessenheit vom Schlanksein (der berüchtigte Heroin-Chic von Kate Moss) ihren Höhepunkt erreichte. Soziale Medien gab es damals noch nicht, im Guten wie im Schlechten, aber die Massenmedien schon. Aufpolierte Schauspielerinnen im Fernsehen, billige Boulevardzeitungen mit Titeln in Großbuchstaben wie "*Promi* IST AUSSER KONTROLLE" (ja, immer bezogen auf ihre Gewichtszunahme), der zunehmende Zugang zu Schönheitsoperationen und der gesellschaftliche Wettlauf um Perfektion trugen alle dazu bei, dass sich unser Selbstbild und unser Körperbild dauerhaft veränderten. Die Zeiten haben sich drastisch geändert - aber ist das Problem wirklich vom Tisch? 

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Nun, laut der National Eating Disorders Association leben weltweit schätzungsweise 70 Millionen Menschen mit Essstörungen. Und obwohl das Thema Esstörung so umfassend und tiefgreifend ist, dass es einen eigenen Aufsatz erfordern würde, können wir die Tatsache nicht ignorieren, dass die meisten Frauen und Männer einen tief verwurzelten Hass auf ihren Körper haben, egal wo und wer.

Die Anzeichen dafür sind allgegenwärtig: Schönheitsoperationen, Fitnessstudio Besessenheit, Modediäten, der Filter Wahnsinn - was auch immer. Auch wenn wir in den meisten Fällen wichtigere Dinge in den Vordergrund unseres Tagesablaufs stellen und uns nicht von unserer Körperunzufriedenheit auffressen lassen können, gibt es doch einen Aspekt des Lebens, bei dem es keine Möglichkeit gibt, vor der eigenen Unsicherheit davonzulaufen: Intimität.

Das Körperbild bezieht sich auf die Art und Weise, wie Menschen ihren Körper wahrnehmen.

Das Körperbild kann durch die eigenen Gedanken - positiv oder negativ - beeinflusst werden, aber auch durch Familie, Freunde, sozialen Druck, Marketing und natürlich durch die Medien.

Laut Statistik sind 91 % der Frauen mit ihrem Körper unzufrieden. Das ist eine beeindruckende Zahl, nicht wahr? Ich für meinen Teil kann mich nicht an eine einzige Zeit erinnern, in der ich mit mir selbst zufrieden war - und ich bin mir bewusst, dass es den meisten von uns so geht. Wir sind umgeben von Influencern in den sozialen Medien, die deine eigenen Bilder in den Hintergrund verschwinden lassen und der Welt ein unerreichbares Bild präsentieren, und den milliardenschweren Konzernen, die unsere Unsicherheit ausnutzen, indem sie uns vorschreiben, wie wir uns zu kleiden haben, wie wir auszusehen haben und welche Trends wir zu verkörpern haben. Da ist es schwer nicht  in eine Negativspirale zu geraten, die so allgegenwärtig ist, dass sie absolut niemanden verschont. 

Die Erwachsenen Filmindustrie ist nicht gerade schonender für unser Selbstbild- Jeder der so einen Film mal gesehen hat, weiß genau wovon ich rede. Wir alle wissen, wie die typischen Pornhub-Darstellerinnen aussehen. Sie ist durchtrainiert mit perfekten Proportionen, hat keine Körperbehaarung, ihre Brüste sind identisch, keine Verfärbung oder Unvollkommenheit in Sicht. Er ist muskulös mit glänzenden Bauchmuskeln, hat eine beeindruckende Größe und Ausdauer, und sein üppiges Haar bleibt irgendwie die ganze Szene über intakt. Und obwohl wir als Erwachsene verstehen, dass der Industriestandard weit von dem entfernt ist, was von uns erwartet wird, denn erstens gibt es Beleuchtung, Schnitt und ein Dutzend Leute am Set, und zweitens ist es ihr Job, so auszusehen - können wir nicht anders, als uns unbewusst zu verinnerlichen, was auf dem Bildschirm gezeigt wird.

Sicher, die Body-Positivity-Bewegung hat dazu beigetragen, bestimmte Dinge wie Narben, Dehnungsstreifen, unvollkommene Haut und Körperfett zu normalisieren - und man kann bereits eine große Verbesserung erkennen. Dennoch streben wir alle nach dem Ideal. Der ideale Körper verkauft sich, genau wie in den frühen 00er Jahren, er ist nie wirklich verschwunden. Er wird nicht mehr so offen gepriesen, sondern still und vorsichtig, aber er zeigt uns immer noch das unerreichbare perfekte Etwas, für das wir sterben würden.

Intimität erfordert nun mal, dass man sich auszieht und sich offen zeigt, ohne ständig etwas verstecke zu müssen. Und für diejenigen von uns, die mit einer negativen Wahrnehmung ihrer körperlichen Aspekte zu kämpfen haben, kann das unglaublich schwer sein. Es ist ein Moment des Schreckens - du machst dir mehr Gedanken darüber, was die andere Person von dir und deinem Körper denken könnte, als dass du dich darauf konzentrierst, Spaß zu haben. Ich kann gar nicht sagen, wie oft mir eine intime Begegnung durch meine selbstkritischen Gedanken ruiniert wurde. "

Er kann jetzt bestimmt alles sehen, buchstäblich meinen ganzen Körper... oh nein" war alles, woran ich denken konnte, während ich eigentlich Spaß mit meinem Partner haben wollte. 

Manchmal sind diese Gedanken nur leise und schwirren im Hintergrund, und es ist leicht, sie loszuwerden, aber manchmal können sie ziemlich aufdringlich werden. 

Noch schlimmer ist es, wenn uns ständig gesagt wird, dass Männer selbstbewusste Frauen lieben, die zu ihrem Körper stehen - was aber, wenn du gerade wenig Selbstliebe hast und dich nicht einmal dazu durchringen kannst, so zu tun, als ob? Dieser "Fake-it-till-you-make-it"-Ansatz klingt zu schön, um wahr zu sein, und das ist er auch.

Das Einzige, was mir wirklich geholfen hat, Zufriedenheit zu erlangen und mit meinem Körper während der Intimität im Reinen zu sein, ist Ehrlichkeit. Ich muss mir jede einzelne meiner Unsicherheiten eingestehen, ob sie nun groß oder klein, offensichtlich oder nur in meinem Kopf sind. Einer der denkwürdigsten Momente meines Lebens war, als mein Ex-Freund sich mit mir zusammengesetzt hat und mich bat, alle Dinge aufzulisten, die ich gerne an meinem Körper ändern würde. Ich zögerte, denn ich bin es gewohnt, eine Fassade des Selbstbewusstseins aufzusetzen, und Gott bewahre, dass jemand herausfindet, dass ich nicht komplett makellos bin. Aber ich habe es getan. Er erzählte dann seinerseits von seinen eigenen Unsicherheiten, und ich war schockiert - ich hielt ihn für einen griechischen Gott in Perfektion. Plötzlich begann diese Dissonanz der Wahrnehmung einen Sinn zu ergeben: 

Wir alle sind voller Zweifel, und die meisten davon sind für andere Menschen nicht offensichtlich - was für eine Offenbarung.

Das Gespräch wurde zu einem der verletzlichsten, besonderen Momente, die ich je hatte - und zu einem, den ich dringend brauchte. Auf lange Sicht hat es meiner Selbstwahrnehmung einen Gefallen getan, wofür ich immer noch dankbar bin.

Vielleicht ist es also doch nicht der beste Ansatz, Selbstvertrauen vorzutäuschen? Es scheint nicht zu funktionieren. Genauso wenig wie das Gegenteil - sich zu verstecken in der Hoffnung, alles zu verbergen, was einen unsicher macht. Das beraubt einen nur der Freiheit und der Möglichkeiten und lässt einen mit leeren Händen und unglücklich zurück. Sollten wir aufhören zu versuchen, das Unveränderliche zu ändern, und ein wenig freundlicher zu uns selbst sein, so wie wir es auch zu anderen Menschen sind?

Vielleicht hat man uns beigebracht, dass Intimität etwas rein körperliches ist - dank der Medien, der Pornoindustrie und dem allgemeinen "sie ist so heiß, ich würde es mit ihr machen". Aber je mehr Erfahrungen ich mache und je erwachsener ich werde, desto mehr bezweifle ich, dass das stimmt. Es geht um das Vergnügen, die Nähe, die Fähigkeit, einander zuzuhören, die unangenehmen Momente, das Lachen und natürlich die Erkundung an und für sich. 

Die Menschen werden nicht mit unseren Körpern intim - sie werden mit uns intim.

Eine Aussage, die so offensichtlich scheint, und doch hat mir das irgendwie niemand vorher gesagt. Ich musste es selbst herausfinden, durch Versuch und Irrtum und mit einer Menge mentaler Folter.

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Wir sind alle nur Menschen. Wir alle tragen unseren Teil an Schuld und Scham, an Unzufriedenheit, weil wir bestimmten gesellschaftlichen Idealen nicht entsprechen, und an Selbstkritik. Wir alle haben Angst vor Ablehnung, aber vor allem sehnen wir uns nach Akzeptanz. Deshalb war die Pure-Gemeinschaft ein frischer Wind, zumindest für mich - Ehrlichkeit ist hier die Norm. Man muss nicht so tun, als wäre man jemand, der man nicht ist, die Leute wenden sich nicht von offenen Gesprächen ab, und die meisten von uns sind selbstbewusst genug, um Verletzlichkeit und alles, was damit einhergeht, zu akzeptieren. Und wenn die Ehrlichkeit erst einmal auf dem Tisch liegt, ist es nicht mehr nötig, sich in seinen intimsten Momenten als Victoria's-Secret-Model vorzustellen - denn plötzlich reicht es, einfach nur man selbst zu sein.

Valerie Estrina

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